Überforderung durch Selbstoffenbarung

Forderung ja, Überforderung nein: Die Kunst therapeutischer Balance in der Selbstoffenbarung

Therapeutische Interventionen – sei es in der Arbeit mit Eltern oder in der Einzeltherapie – bewegen sich immer in einem Spannungsfeld zwischen Herausforderung und Belastung. Ein Beispiel: Wenn Eltern lernen sollen, ihr Kind konsequent zu begleiten, ist es entscheidend, die Anforderungen an ihren Alltag realistisch zu gestalten, damit sie nicht entmutigt aufgeben. Der Satz „Forderung ja, Überforderung nein“ bringt dieses Dilemma auf den Punkt: Eltern und Kinder sollen im Entwicklungsprozess wachsen, aber nicht an der Intensität von Konfrontationen oder Interventionen scheitern. In diesem Beitrag werfe ich einen Blick auf die unterschiedlichen Konzepte von Selbstöffnung und Konfrontation in verschiedenen etablierten therapeutischen Ansätzen und wie sie in der Elternberatung praktisch angewendet werden können. Selbstverständlich ist nicht jede Art der Elternarbeit therapeutisch. Dennoch lassen sich aus diesen gut erforschten Ansätzen hilfreiche Impulse mitnehmen..

CBASP: Interpersonelle Spiegelung als Lernchance

Das Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy (CBASP) nach James P. McCullough wurde speziell für Patienten mit chronischer Depression entwickelt. In der Elternberatung kann dieses Konzept helfen, verdeckte Kommunikationsmuster aufzudecken und so Missverständnisse zwischen Eltern und Kindern zu reduzieren. Im Zentrum steht das interpersonelle Lernen, das durch die sogenannte Interpersonal Discrimination Exercise (IDE) gefördert wird. Der Therapeut gibt dem Patienten dabei Rückmeldung darüber, wie dessen Verhalten im Hier und Jetzt wirkt – ohne Beschämung, aber mit dem Ziel, interpersonelle Muster bewusst zu machen. In der Elternberatung kann eine solche Technik hilfreich sein, wenn Eltern zum Beispiel nicht bemerken, wie sie ihr Kind – oft aus guter Absicht – mit ihren Erwartungen überfordern. Hier gilt: Rückmeldung ja, aber wohl dosiert. Zum Beispiel kann man Eltern spiegeln, wenn ihr Tonfall unbewusst kritisch oder fordernd ist, obwohl sie eigentlich Unterstützung ausdrücken möchten.

KVT nach Beck: Selbstöffnung im Dienst der kognitiven Umstrukturierung

Die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) nach Aaron T. Beck setzt auf den sokratischen Dialog und kognitive Umstrukturierung. Ein Beispiel: Wenn Eltern annehmen, dass ihr Kind absichtlich nicht zuhört, kann der Therapeut helfen, diese Überzeugung durch gezielte Fragen zu hinterfragen und so zu neuen Perspektiven zu gelangen. Selbstöffnung des Therapeuten wird hier eingesetzt, um Denkfehler oder rigide Glaubenssätze erlebbar zu machen. Judith Beck betont, dass Selbstöffnung dann sinnvoll ist, wenn sie dem Ziel dient und die therapeutische Beziehung stabil bleibt. In der Elternarbeit begegnen mir oft Überzeugungen wie: „Mein Kind wird faul, wenn ich es lobe“. Solche Annahmen entstehen häufig durch eigene Erfahrungen in der Kindheit oder gesellschaftliche Erziehungsmythen, die sich über Generationen hinweg halten. oder „Wenn ich konsequent bin, schade ich der Beziehung“. Eine behutsame Selbstöffnung, wie: „Ich kann diese Sorge gut nachvollziehen, aber in meiner Erfahrung profitieren Kinder eher von klaren Regeln, weil sie sich dann sicher fühlen“, kann hier viel bewirken. Auch hier gilt: Forderung ja, Überforderung nein.

Klärungsorientierte Psychotherapie (Sachse): Der Beziehungscredit als Kompass

Rainer Sachse führt mit dem Konzept des „Beziehungscredits“ eine Metapher ein, die verdeutlicht, wie entscheidend Vertrauen für die Wirksamkeit von Interventionen ist. Zum Beispiel kann es helfen, Eltern zu spiegeln, wenn sie unbewusst widersprüchliche Signale senden – etwa, wenn sie einerseits Unterstützung signalisieren, andererseits aber durch Körpersprache Distanz vermitteln. Der Therapeut „zahlt“ auf ein Beziehungskonto ein, indem er Verständnis, Empathie und Wertschätzung zeigt. Erst wenn das Konto gedeckt ist, kann er kritischere Themen ansprechen. Gerade Eltern, die in Konflikten mit ihren Kindern verunsichert sind, brauchen anfangs häufig Ermutigung und Verständnis, bevor sie bereit sind, alte Muster zu hinterfragen. Wer zu früh mit „Erziehungstipps“ um sich wirft, landet schnell im emotionalen Dispo – also in einer Art innerem Erschöpfungszustand, in dem Eltern sich hilflos und entmutigt fühlen.

Zwischen Herausforderung und Sicherheit: Der schmale Grat

In der Elternarbeit zeigt sich immer wieder, wie wichtig es ist, einen Balanceakt zwischen Herausforderung und Sicherheit zu meistern. Kinder brauchen klare Ansagen und Eltern manchmal ehrliches Feedback – aber beides wirkt nur, wenn es zum richtigen Zeitpunkt kommt. Die therapeutische Kunst besteht darin, das Gegenüber an den Rand der Komfortzone zu führen, ohne es darüber hinauszustoßen. Der Satz „Forderung ja, Überforderung nein“ ist dabei nicht nur ein Mantra, sondern eine methodische Notwendigkeit.

Fazit

Ob CBASP, KVT oder KOP – alle Ansätze betonen die Bedeutung einer wohl dosierten Konfrontation. In der praktischen Anwendung unterscheidet sich dies jedoch: CBASP fokussiert auf interpersonelles Feedback, KVT auf die Arbeit an Denkmustern und KOP auf die Klärung emotionaler Schemata. Die Unterschiede liegen in der Zielsetzung: interpersonelles Lernen bei CBASP, kognitive Umstrukturierung bei Beck und Klärungsarbeit bei Sachse. Für Therapeuten und Berater bedeutet das, achtsam zu sein, wie sie Rückmeldungen an ihre Klienten dosieren, damit diese sich herausgefordert, aber nicht entmutigt fühlen. Der gemeinsame Nenner bleibt jedoch der Respekt vor der Belastungsgrenze – bei Erwachsenen wie bei Kindern: Forderung ja, Überforderung nein.

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